Die Macht wissenschaftlicher Zusammenfassungen

Was in den Zusammenfassungen wissenschaftlicher Arbeiten steht, ist nicht immer nur die kondensierte Form der Gesamtfassung. Zum Teil liegt der Verdacht nahe, ihr Inhalt sei eher politisch denn wissenschaftlich motiviert.

Jährlich wird eine Vielzahl von wissenschaftlichen Artikeln und Berichten publiziert - viel mehr als die meisten in ihrer tagtäglichen Arbeit lesen können. Dies ist einer der Gründe, warum jeder wissenschaftliche Artkel oder Bericht in der Regel eine kurze Zusammenfassung hat. Während der ausführliche Text alle Details enthalten sollte, zum Beispiel auch Hinweise auf offene Fragen oder Schlussfolgerungen, so muss die Zusammenfassung innerhalb weniger Sätze oder Seiten die wichtigsten Ergebnisse kurz und genau wiedergeben. Wer selber schon einmal solche Berichte oder Artikel geschrieben hat, kennt das Problem: Da arbeitet man Wochen, Monate oder Jahre an einer Studie, hat endliche alle Details, Ergebnisse und Schlussfolgerungen ordentlich ausgeführt, und dann muss man das Ganze noch einmal auf eine vorgegebene Anzahl von Zeichen runterbrechen.

Mittel zur subtilen Manipulation

Doch diese Zusammenfassungen sind nicht nur harte Arbeit, sie können auch ein Mittel von subtiler (oder weniger subtiler) Manipulation sein. Denn: Oft werden nur die Zusammenfassungen gelesen - sei es aus Zeitgründen oder weil zum Beispiel die Zusammenfassung (Abstract) frei im Internet verfügbar ist, ein einzelner wissenschaftlicher Artikel allerdings ohne weiteres 25 Euro kosten kann.
Hier zwei Beispiele aus der aktuelen Gentechnik-Diskussion, bei denen man sich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass diese Zusammenfassungen mehr politisch als wissenschaftlich motiviert sind.
Für die Studie "Monitoring der Umweltwirkungen des Bt-Gens" liegen zwei Zusammenfassungen vor, beide gut eine DIN-A4-Seite lang. Die eine ist die des gedruckten Endberichts,Lang et al. 2005. Monitoring der Umweltwirkungen des Bt-Gens. Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Freising-Weihenstephan. Forschungsprojekt im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz. Schriftenreihe ISSN 1611-4159, laufende Nummer 7/2005, Seite 5, www.lfl.bayern.de/publikationen/daten/schriftenreihe_url_1_28.pdf die andere stammt von einem der beiden Autoren anlässlich der Präsentation der Ergebnisse zum Abschluss des Berichts (hier als "die Präsentation" bezeichnet).Monitoring der Umweltwirkungen von gentechnisch veränderten Organismen. Abschlussseminar zu den bayerischen Projekten. Fachtagung am 21. November 2005. Bayerisches Landesamt für Umwelt, S. 27. www.biosicherheit.de/pdf/projekte/bayern-projekte_seminar.pdf. (Zuletzt abgerufen im April 2007.)
Nach einigen einleitenden Absätzen werden die Ergebnisse der Studie zu vier Punkten zusammengefasst. Die ersten beiden dieser Punkte sind in beiden Fassungen identisch, aber bei den anderen beiden muss man sich fragen, ob es sich eigentlich um die selbe Studie handelt.
Während die Zusammenfassung auf den ersten Seiten des gedruckten Berichts den Eindruck hervorruft, dass es keine oder nur geringe Effekte von Bt-Mais auf Spinnen, räuberische Wanzen und Florfliegen gab, erweitert Andreas Lang, einer der Autoren, dies auf einer Konferenz um zwei wichtige Angaben. Zum einen werden die Rollen dieser Tiere als "die wichtigsten Nützlinge" hervorgehoben, zum anderen wird aber vor allem dargestellt, dass es zum Teil auch siginifikante Abnahmen der Bestände gab. Und während die Zusammenfassung betont, dass im Freiland die negativen Effekte der Laborversuche nicht bestättigt werden konnten und dieses Ergebnis durch die Angabe möglicher Risikomanagementmaßnahmen noch weiter abschwächt, betont Lang in seiner Präsentation die deutlich negativen Effekte auf die Raupen einer bestimmten Schmetterlingsart (siehe Tabelle).
Bei der Lektüre des Gesamtberichts wird zudem deutlich, dass die Laborversuche mit Raupen durchgeführt wurden, was aber - aus Kostengründen - im Freiland nicht wiederholt wurde. Stattdessen zählten die Wissenschaftler adulte Schmetterlinge. Es handelt sich also im Labor und im Freiland um zwei unterschiedliche Versuche - was im Übrigen in beiden Darstellungen nicht deutlich gemacht wurde.Insgesamt zeichnet also die Zusammenfassung im Gesamtbericht ein deutlich positiveres Bild der möglichen Effekte von Bt-Mais auf Nicht-Zielorganismen als die Präsentation eines der Autoren. Einem früheren Presseartikel über die hier beschriebene bemerkenswerte wissenschaftliche Praxis zufolge, ist die Zusammenfassung des Gesamtberichts durch die Institutsleitung worden.Albrecht Kieser 2006. Umgeschriebene Wahrheiten. Telepolis, 26.9.2006. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23623/1.html (Zuletzt abgerufen im April 2007)
Mein zweites Beispiel zeigt, wie ein interessantes Ergebnis in den Zusammenfassungen schrittweise immer unsichtbarer wird und am Schluss ein deutlich anderes Bild geliefert wird, als die Originaldaten vermuten ließen.

"Es gibt keinen Effekt auf Bienen"

Im Rahmen des BMBF-Projekts "Sicherheitsforschung und Monitoring zum Anbau von Bt-Mais 2001-2004" fand ein Teilprojekt "Auswirkungen von Bt-Maispollen auf die Honigbiene" statt."Auswirkungen von Bt- Maispollen auf die Honigbiene – Methodenentwicklung zu Wirkungsprüfung und Monitoring", 2001 - 2004, Universität Jena, Institut für Ernährung und Umwelt Siehe dazu im Internet unter: www.biosicherheit.de/de/sicherheitsforschung/68.doku.html. (Zuletzt abgerufen im April 2007.) Bt-Mais ist in der Art gentechnisch verändert, dass er ein Insektengift produziert, das, wie auch das Gen, das in den Mais übertragen wurde, ursprünglich dem Bacillus thuringiensis entstammt. In zwei Jahren wurde untersucht, ob Pollen von Bt-Mais negative Auswirkungen auf Bienenvölker im Freiland hätten. Im ersten Jahr wurden die Völker zufällig von einem Parasiten befallen. Die Völker, die Bt-Mais als Pollenquelle hatten, wurden durch die Parasiten signifikant stärker geschädigt.Der ungeplante Parasitenbefall ist ein gutes Beispiel dafür, unter welchen Bedingungen unerwartete, negative Effekten nach der Zulassung eines gentechnisch veränderten Organismus (GVO) auftreten können, und warum ein umfassendes Monitoring unerlässlich ist, falls GVO-Anbau zugelassen wird. Während Kaatz et al. in den Jahren 2002 und 2003 nicht in der Lage waren, den Parasitenbefall zu wiederholen, sind für 2007 zwei Studien zu dieser Frage geplant. Die Gesamtprojektlaufzeit war von 2001 bis 2004. Im zweiten Jahr wurden die Bienenvölker prophylaktisch mit Antibiotika behandelt und es zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Völkern. Die Zusammenfassung, die der Projektleiter Ingolf Schuphan nun auf Webseiten und in Präsentationen gibt, lautet kurz und bündig: "Es gibt keinen Effekt auf Bienen."Stellungnahme auf www.biosicherheit.de/pdf/aktuell/stellungnahme_bt-mais_06-07.pdf. (Zuletzt abgerufen im April 2007.) Wie kommt eine solche Aussage zustande?
Hans-Heinrich Kaatz von der Universität Jena (heute Martin-Luther-Universität in Halle/Saale) und seine Kollegen führten die Studie durch und werten ihre Ergebnisse aus. Eine Zusammenfassung der Studie und ihrer Ergebnisse wird auf www.biosicherheit.de - als Abschlussbericht des Projekts - publiziert."Auswirkungen von Bt- Maispollen auf die Honigbiene – Methodenentwicklung zu Wirkungsprüfung und Monitoring", 2001 - 2004, Universität Jena, Institut für Ernährung und Umwelt; s.o. Hier heißt es: "Berücksichtigt man die extremen Versuchsbedingungen (Dauer von sechs Wochen, erhöhter Bt-Toxingehalt), dann kann eine toxische Wirkung auf gesunde Bienen unter natürlichen Bedingungen nach den erfolgten umfangreichen Untersuchungen mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden.(...) Im ersten Jahr waren die Bienenvölker zufällig mit Parasiten (Mikrosporidien) befallen. Dieser Befall führte bei den Bt-gefütterten Völkern ebenso wie bei den Völkern, die mit Pollen ohne Bt-Toxin gefüttert wurden, zu einer Abnahme der Zahl an Bienen und in deren Folge zu einer verringerten Brutaufzucht. Der Versuch wurde daher vorzeitig abgebrochen. Dieser Effekt war bei den Bt-gefütterten Völkern signifikant stärker. (Die signifikanten Unterschiede sprechen für eine Wechselwirkung von Toxin und Pathogen auf die Epithelzellen des Darms der Honigbiene. Der zugrunde liegende Wirkungsmechanismus ist unbekannt.) Der Einfluss der Mikrosporidien konnte nicht weiter untersucht werden, da die Anzucht von Mikrosporidien und damit eine gezielte Infektion von Bienenvölkern nicht gelang."

Zusammenfassungen als politisches Instrument

Kaatz und Kollegen stellen also die negativen Effekte deutlich heraus, und erklären die methodologischen Probleme, die sie daran gehindert haben, diesen Befall zu wiederholen. Sie beschreiben auch die Antibiotikagabe, auch wenn sie dann selber eine erste Verkürzung vornehmen indem sie aus "mit Antibiotika behandelten Bienen" "gesunde Bienen" machen. Es liegen in dieser Veröffentlichung keine Originaldaten vor, auf denen die Aussagen "negativer Effekt" und "kein Effekt" basieren.
Schuphan stellt die Ergebnisse des gesamten Projekts kurz da (6) und berücksichtigt dabei nur die "gesunden Bienen". Er gibt auch nicht an, dass diese gesunden Bienen nur in einem Jahr des dreijährigen Projektes untersucht wurden.
In der Zusammenfassung dieser Kurzdarstellung streicht er dann auch noch das Wort "gesund". Es heißt jetzt "Es gibt keinen Effekt auf Bienen“. Diese Zusammenfassung ist zum Beispiel auf der Webseite www.biosicherheit.de veröffentlich, von wo sie auf den Abschlussbericht auf derselben Webseite verweist.
Der Eindruck bei Schuphan ist, dass eine dreijährige Freilandstudie keine negativen Effekte auf Bienen feststellen konnte. Tatsächlich zeigen die Daten jedoch eine einjährige Studie mit Antibiotika behandelten Bienen, in denen keine negativen Effekte festgestellt werden konnten, sowie eine zweite einjährige Studie in denen bei Bienen mit Parasitenbefall negative Effekte belegt wurden und bei dem die Wissenschaftler angeben, dass sie unter kontrollierten Bedingungen wiederholt werden sollte.
Selten sind Zusammenfassungen so eklatant verschieden von dem, was die AutorInnen einer Studie selber sagen, und selten ist dies so offensichtlich. Die - zusammenfassende - Schlussfolgerung kann nur sein, dass das Schreiben einer Zusammenfassung nicht nur ein wissenschaftlicher Arbeitsschritt ist, sondern auch ein politsches Instrument sein kann, vor allem dann wenn es im Rahmen eines größeren Projekts stattfindet, in dem ProjektleiterInnen typischerweise die Interpretationshoheit über das Gesamtprojekt haben, auch wenn einzelen ProjektteilnehmerInnen zu anderen Schlussfolgerungen kommen.

A. Lorch, GID 181 April 2007.